Sozialpsychiatrie ist jene Wissenschaft, die sich systematisch mit der Bedeutung von sozialen, kulturellen sowie Umgebungsfaktoren in weitestem Sinn für seelische Gesundheit und Krankheit befasst.
Nach heutigem Wissensstand können biologische Faktoren (z.B. Vererbung), lebensgeschichtliche Ereignisse (z.B. Verlust eines nahe stehenden Menschen) und soziale Faktoren (z.B. Arbeitslosigkeit) zur Entstehung von Krankheiten beitragen. Um den Bedürfnissen psychisch Kranker gerecht zu werden, reicht es nicht aus, in der Behandlung nur einzelne Aspekte herauszugreifen: Jede moderne Psychiatrie hat drei Standbeine, ein biologisch-psychiatrisches, ein sozialpsychiatrisches und ein psychologisch-psychotherapeutisches. Für eine umfassende Behandlung und Betreuung psychisch Kranker sind alle drei Bereiche von essentieller Bedeutung, wobei je nach Krankheit und aktuellem Zustand einzelne Bereiche im Vordergrund stehen können.
Wissenschaftliche Sozialpsychiatrie beschäftigt sich mit den sozialen Folgen seelischer Erkrankungen aber auch mit den sozialen Ursachen, die zur Entstehung von seelischen Erkrankungen beitragen. Dazu gehört auch die Erforschung jener Rahmenbedingungen, die für eine adäquate Therapie und Versorgung psychisch Kranker erforderlich sind.
Neben Sozialpsychiatrie als Wissenschaft gibt es Sozialpsychiatrie als Praxis. All jene Bemühungen, die dazu beitragen, Menschen mit psychischen Erkrankungen in ihrem normalen Lebensumfeld behandeln zu können, sind praktische Sozialpsychiatrie. Vielen Einrichtungen, die in den letzten 40 Jahren dafür geschaffen wurden, werden daher auch als sozialpsychiatrische Dienste bezeichnet. Auch das Einbeziehen des sozialen Umfeldes der Kranken zu Zwecken der Diagnostik und Behandlung (= Soziotherapie) ist ein wesentlicher Teil praktischer Sozialpsychiatrie.
Oft sind in der Bevölkerung Unwissen oder falsche Vorstellungen über psychische Erkrankungen und die damit verbundenen Therapien und Einrichtungen zu finden. Dies führt immer wieder zu Benachteiligung und Diskriminierung. In vielen Ländern engagierten sich Experten für psychische Erkrankungen (PsychiaterInnen, Pflegepersonen, PsychologInnen und andere) für den Abbau von Benachteiligungen und Diskriminierung. Häufig geschieht dies gemeinsam mit von psychischen Krankheit Betroffenen und deren Angehörigen. Auch das ist ein wichtiger Aspekt der Praxis von Sozialpsychiatrie.